Dienstag, 16. Juni 2009

Queenstown: Embrace your fear...

"Yes, I'd like to book the skydiving trip for tomorrow, 10.30 a.m.", sagst du, noch bevor deine Kreditkarte Gelegenheit hat, entsetzt aufzuschreien. Ein völlig lapidarer Satz, der aber wie so oft im Leben weit reichende Folgen nach sich zieht. "Embrace your fear", sagt die Broschüre dazu, die Skydives aus 9,000, 12,000 und 15,000 Fuß anpreist. Der Preis richtet sich nach der Sprunghöhe: Je höher, desto längerer freier Fall, desto teurer. Denn darum scheint es beim Skydiven, neuhochdeutsch für "Fallschirmspringen", hauptsächlich zu gehen: Wen interessiert die Aussicht, der Blick auf das herrliche Berg- und Seepanorama rund um Queenstown, völlig egal, einfach raus aus dem Flieger und -PLUMPS-, der Erde entgegen wie ein Stein. Oder eher wie ein Ferrari, man beschleunigt von null auf 200 in zwölf Sekunden. So behauptet zumindest der schlaue Flyer. Er baut dich auf, es tut richtig gut, ihn zu lesen (guter Texter, muss schon sagen....): Es brauche besonders viel Charakter, in dieser Höhe aus einem Flugzeug zu springen, es werde dein Leben nachhaltig verändern, sämtliche Sinne würden (wortwörtlich) völlig aus der Bahn geworfen, wenn du jedem Überlebensinstinkt zuwider aus dem Flieger springst. Er warnt aber auch gleichzeitig davor, dass nichts dieses Erlebnis erleichtern wird: Der erfahrene, vielfach geprüfte Jumpmaster, der an dich dran geschnallt ist und sich um alles kümmert, das Hightech-Material der Ausrüstung, das von Profis sorgfältig verpackt wurde, der Reserveschirm, der im Notfall automatisch ausgelöst wird, alles völlig wurscht. Dein Hirn, dein Körper, deine Seele, jede Faser deines Seins wird sich im entscheidenden Moment dagegen sträuben, zu springen.
Aber noch ist es nicht soweit. Zuerst sitzt du am nächsten Tag um halb 11 noch gemütlich im Shop mit den anderen potentiellen Skydivern, schaust dir die Videos deiner Vorspringer an, bist locker, lässig relaxt, auch wenn dich im Minutentakt jemand aus dem Personal fragt, wie es dir geht, wie du über deinen Flug denkst, ob eh alles ok ist. Aber dir gehts gut, alles easy, alles logo, logo-logo, du genießt das nette Lächeln der hübschen Mädels hinter dem Tresen und mit demselben Lächeln bezirzt du auch deine Kreditkarte, bis sie dir schmollend für nochmal 2/3 des Sprungpreises auch die extra verbilligte DVD-Video-Foto-CD-Postcard-Super-Duper-Motherfucker-Megacombo kauft.
Dann fahrt ihr alle gemeinsam mit dem Bus zum Flugfeld, das im Skydiving-Advanced-Coolness-Slang "Dropzone" heißt. Aus meiner deutschsprachigen Sicht vielleicht etwas unglücklich gewählt, wenn man die Landebahn für Fallschirmspringer mit dem Wort betitelt, das als Verb "fallenlassen" bedeutet... Du wirst nach wie vor jede zweite Minute nach deinem Wohlbefinden gefragt, das nach wie vor cool und easy-cheesy ist. Aber, zugegeben, so langsam steigt die Anspannung: Die Flieger landen und starten konstant, ebenso wie die vorher abgesprungenen Skydiver, alle paar Minuten torkeln dir glücklich grinsende Gestalten im Adrenalinrausch entgegen, die grade gelandet sind, Wörter wie "Awesome", "Cool", "Amazing", "Sooooo good" schwirren nur so durch die Luft.
Du schlüpfst in deinen Ganzkörper-Skydiving-Anzug, dann stellt sich ein Typ als dein Jumpmaster vor, der dir dann deine Gurte anschnallt. Nicht anlegt, sondern anSCHNALLT, im Sinne von "Wer braucht schon Blut in den Füßen?!" und "Danke, ich hatte sowieso keine Pläne, jemals eine Familie zu gründen...". Die Anspannung ist inzwischen soweit gestiegen, dass du dir seinen Namen genau 1,5 Milisekunden merkst, obwohl du ihm im entscheidenden Moment des Sprungs näher sein wirst (bzw. enger an ihn geschnallt), als du jemals einem Mann sein wolltest. Deine Anspannung steigt noch weiter, als du siehst, dass gleich gegenüber die "gebrauchten" Fallschirme von den in der Broschüre erwähnten "Professionals" verpackt werden. Nicht von High-Tech-Maschinen, oder Top-Level-Technikern im Labormantel oder so, sondern von stinknormalen bärtigen, schlecht frisierten Typen mit Baseballkappe. Ist das da vielleicht grade mein Schirm? Was, wenn der Kerl schlecht drauf ist, oder schlecht geschlafen, oder gestern zu lange saufen war, und sich nicht konzentrieren kann? Was wenn ihn seine Freundin gestern nicht rangelassen hat, und er deswegen völlig neben sich steht? Und was macht der Knoten da in der Leine? Und sollte der Haken da wirklich so komisch gebogen sein?
Dann geht es endlich los, ab in den Flieger... Moment, Flieger?! Dieses angeblich fliegende Äquivalent eines Schlauchbootes, das ist unser Flieger? Ich könnte meinem Mazda 121 Flügel und einen Propeller verpassen, der Anblick wäre durchaus vergleichbar. Der Ausstieg wird nicht nur mental schwer werden, sondern auch rein praktisch: Wie sollen sich neun Menschen (jeweils drei Skydiver, drei Jumpmaster und drei Kameraleute/Fotografen) in diese Kabine quetschen, geschweige denn wieder geordnet aussteigen? Aber noch ehe man groß darüber nachdenken kann (Die schnelle Abfertigung hat wahrscheinlich den Zweck, genau das zu unterbinden), sitzt man auch schon zusammengequetscht mit den anderen am Boden der Kabine, und siehe da, der Schlauchboot-Flieger erhebt sich tatsächlich in die Lüfte.
Und er steigt und steigt, "Wow, eine unglaubliche Aussicht", er steigt weiter, "Wie hoch sind wir denn schon, oh, erst die Hälfte, ok", er steigt weiter und weiter, in der Kabine geht ein rotes Licht an, alle machen sich fertig, der Jumpmaster schnallt dich nun endgültig an sich dran, das Licht ändert sich in grün, "hey, wozu der Stress, wir sitzen doch alle grade so gemütlich, genießen wir doch noch ein bißchen die Aussicht... HEY, MANN ÜBER BORD... UND FRAU AUCH, HAAALLLTT... He, warum bewege ich mich auf die Tür zu? Moment, ich bin noch nicht so weit, mir is kalt, ich brauche noch ein paar Socken, meine Brille sitzt schief, he, warum hänge ich beim Flugzeug raus, Ave Maria Mutter Gottes, der HerrAAAAAAAAAAAAHHHHHHHHHHHHHHHHHHH(LuftholLuftholLuftholLufthol)AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAHHHHHHHHH......."
Das anfängliche Gefühl ist ähnlich wie immer beim Springen aus hoher Distanz (zum Beispiel vom 10-Meter-Brett), nur dass er weitergeht und weitergeht und weitergeht, und alles durcheinanderpurzelt: Oben und unten sind Konzepte aus einem anderen, weit, weit entfernten Leben, das Flugzeug ist irgendwo, der Boden irgendwo anders, alles ist irgendwo im undefinierten Himmel, alles ist gleichzeitig oben, unten, links und rechts, die versprochenen 45 Sekunden "freier Fall" sind genau das, bis zum letzten Buchstaben. Wie die Fotos und das Video später entlarven, ist der Plan, für die Kamera den coolen Motherfucker raushängen zu lassen, nicht ganz aufgegangen: Das ganze Gesicht ist ein Loch, ein einziger, konstant schreiender Mund, der Rest verzerrt vom Wind und dem Schrecken des freien Falls.
Der restliche Flug ist relativ unspektakulär, verglichen mit den ersten 45 Sekunden, einige Drehungen und enge Kurven sorgen für Achterbahn-Feeling, aber hauptsächlich hängt man gemütlich in den Seilen und genießt dieselbe wunderschöne Aussicht wie im Flieger, nur eben diesmal ohne störende Wände oder verschmierte Fenster. Auch die Landung verläuft sehr einfach nach dem Prinzip "Arschbremse" (zumindest aus meiner Beifahrerperspektive): Man denkt sich noch, "Hm, sind wir nicht ein bißchen schnell dran und viel zu steil zum Landen", da rutscht man auch schon am Gras entlang, bleibt nach einigen Metern einfach sitzen und das letztliche Zusammenfallen des Fallschirms markiert das Ende dieses Skydives.



Wie schon im vorigen Eintrag angedeutet, rühmt sich Queenstown mit einem, na ja, extremen Angebot an Extremsportarten, oben beschriebenes Skycdiven, Raften, Bungejumpen aus Höhen bis zu 134 Metern, Bungeeschwingen (statt am Seil grade runter schaukelst du in 140 Meter Höhe in einem Radius von gut 100 Metern...), Speedboat fahren, usw. Dabei wird aber gerne übersehen, dass Queenstown außerdem in einer wunderschönen Berglandschaft mitten in den neuseeländischen Alpen liegt, direkt an einem See, mit malerischen Ausblicken in quasi jede Richtung. Und da wir ja glücklicherweise zu zweit unterwegs sind, hat Lukas diese ausführlichst dokumentiert, während ich das Ganze aus der Vogel- bzw. "fallender Ferrari"-Perspektive gesehen habe. Als wir uns danach wiedergesehen haben, war sein Gesichtsausdruck ob der fantastischen fotogenen Landschaft mindestens so aufgeregt und happy wie meiner :-)

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