Samstag, 28. März 2009

Angkor what?

Die Tempel von Angkor. Schon der Name unserer nächsten Station hat etwas Erhabenes, Monumentales an sich. Die dazugehörigen Bauwerke stehen dem in Nichts nach. Selbst als Ruinen, teilweise schon vom Dschungel überwuchert, strahlen sie immer noch Größe, Erhabenheit und Macht aus. Man kann sich kaum vorstellen, wie sie als „Neubauten“ vor gut 1000 Jahren ausgesehen haben mögen, in voller Blüte, mit zehntausenden Einwohnern, zu einer Zeit, als London noch ein angelsächsiches Kaff auf einer unwirtlichen Insel war und die Einwohner von New York die im Sumpf ansässige Froschpopulation.
Blumige Worte werden dem Erlebnis kaum gerecht, hier wirklich zu stehen. Versuchen wir es deswegen mit einigen harten Fakten. Allein schon ihre Größe ist schwer zu vergleichen. Nimmt man nur die Anlage von Angkor Wat als Beispiel, so ist sie mit einer Grundfläche von 1,5 km mal 1,3 km die größte religiöse Anlage der Welt und damit größer als die modernen Shoppingtempel Europark und Ikea in Salzburg zusammen. Dabei ist diese nur eine, wenn auch die größte, von 52 Tempelanlagen und anderne Khmer-Bauwerken, die hier in einem Umkreis von ca. 50 km dem Dschungel und dem Verfall trotzen. Manche hatten bereits im vergangenen Jahrhundert Restaurierung nötig, um sie überhaupt wieder als Bauwerk erkennbar zu machen, und in fast jedem findet man Metall- und Holzstützen, die bereits wankende Mauern oder einsturzgefährdete Türbögen vor dem endgültigen Einsturz bewahren. Aber wie gesagt, Dschungel und Verfall hin oder her, auch heute schaffen sie es, die Besucher zu beeindrucken, mit nur einem Bruchteil ihres alten Glanzes. Manche der Tempel, wie Ta Phrom oder Ta Som, sind schon dabei berühmter für ihre eindrucksvolle Baum-wächst-aus-Mauer-Szenerie (nicht zuletzt verwendet als prominente Kulisse in Kinofilmen wie „Tomb Raider“ und „Indiana Jones“) als für ihren eigentlichen Stellenwert als Bauwerk. Zudem sind sie nicht nur sehenswert, sondern auch wortwörtlich erlebenswert: Wohl kaum irgendwo in der „zivilisierten“ und vor allem reglementierten westlichen Welt bekäme man die Gelegenheit, mehr oder weniger völlig narrenfrei auf einem jahrhundertealten Weltkulturerbe herumzukraxeln, was wir als bekennende Kindsköpfe und Indiana-Jones-Fans natürlich ausgiebig getan haben: Keine Security in den Tempeln, keine Wachtposten, keine Beschränkungen oder Absperrungen vor besonderen Stellen, nur ein paar sich teilweise widersprechende Warnschilder. Die Tempel von Angkor sind nicht nur ein Weltwunder, sondern auch ein wunderbarer Abenteuerspielplatz.
Doch während die Tempel und Paläste von der längst vergangenen glorreichen Vergangenheit der Khmer-Könige erzählen, wird man schon bei der Ankunft vor den Tempeln mit der wenig glorreichen Gegenwart des heutigen Kambodscha konfrontiert: Unzählige Frauen und Kinder jeden Alters bestürmen die Besucher, schon bevor diese überhaupt aus ihrem Tuk-Tuk ausgestiegen sind. Zum Verkauf stehen Bücher über Angkor Wat, kopierte Lonely Planet-Reiseführer, Armbänder, Snacks, Schals und „cold waaatteeeeeeeeer, sir, buy my cold waaaattteeeeeeeer, sir?“ Und da die einzelnen Ruinen und Gebäude jeweils einige Minuten mit dem Tuk-Tuk voneinander entfernt liegen,wiederholt sich dieses Ritual vor und nach jeder Tempelanlage, wenn wir aus dem Tuk-Tuk aus- und wieder einsteigen.
Das Problem ist dabei weniger, dass die Leute lästig wären. Das zwar auch ein wenig, aber was weit mehr an die Substanz geht, ist das ständige Zurückweisen der Kinder im Kindergarten- und Volksschulalter. Wieder und wieder und wieder betteln dich kleine Kinder mit großen Augen an „Please, sir, mister, you buy bracelet, ten for one Dollar“ und wieder und wieder musst du Nein sagen, den ganzen Tag lang, immer wieder „no, sorry, no, thank you!“. Sie bzw. ihre Familien sind wahrscheinlich auf dieses Geld angewiesen, aber man kann einfach nicht hunderte Dollar für Bücher, Schals und Armbänder ausgeben, so gerne man ihnen auch irgendwie helfen möchte. Davon abgesehen, dass die Kohle wahrscheinlich dann sowieso bei einem koreanischen Mafioso landet, der schon an der nächsten Straßenecke wartet.
Armut ist auch das passende Stichwort für unseren Ausflug zum Tonle Sap, dem größten Süßwasser-See Südostasiens, auf dem wir uns ein Floating Village anschauen wollen, sprich, ein Dorf, das konstant auf dem See schwimmt, von Wohnhäusern über Lokale und die Schule bis hin zum schwimmenden Basketballkorb. Was sich ursprünglich sehr interresant angehört hatte, stellte sich aber sehr schnell als „Armuts-Sightseeing“ heraus: Schon der Ort, an dem das Boot losfährt, ist ein wortwörtlich stinkendes Dreckloch, in dem die Leute in einfachsten Bambus-/Wellblechhütten hausen, unter absolut menschenunwürdigen Bedingungen. Im Floating Village ein ähnliches Bild, nur dass die Armut hier eben obenauf schwimmt und nicht im Dreck versinkt und deswegen eine Touristenattraktion darstellt: Die Touris werden durch das Dorf hindurch zur Besichtigung der örtlichen Schule gefahren, jedoch nicht ohne vorher im schwimmenden Supermarkt ein paar Stifte oder Hefte für die Kinderlein gekauft zu haben (die dann wahrscheinlich unbenutzt wieder zum Supermarkt zurückwandern, um das nächste Boot abcashen zu können). Dabei immer im Schlepptau: Dorfbewohnerinnen, die von ihrem Holzboot aus mit ihrem Baby im Arm die Besucher um Geld anbetteln. Tja, und mittendrin wir Möchtegernabenteurer, die am Vorabend zu siebt einen Geldbetrag in Alkohol investiert hatten, mit dem man wahrscheinlich sämtliche Kinder hier durch die Schule bringen könnte. Und plötzlich fühlten sich die T-Shirts, die wir am Abend davor in der Bar gratis zu den Drinks dazubekommen hatten (für zwei Krüge Cocktails ein T-Shirt... ja, es war recht lustig...) ungefähr so passend an wie eine Nazi-Uniform bei einem Besuch an der Klagemauer.
Letztlich hinterließen also diese Szenen aus der kambodschanischen Gegenwart einen leider mindestens ebenso starken Eindruck, wie die Zeugnisse der (ruhmreicheren) Khmer-Vergangenheit. In dieser Tonart sollte es dann in der Hauptstadt Phnom Penh weitergehen, wo wir uns näher mit der mörderischen Vergangenheit von Kambodscha zu Zeiten der Roten Khmer auseinandergesetzt haben.

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