Dienstag, 31. März 2009

Tiefpunkte einer Kultur: Zeugnisse einer grausamen Geschichte

Nach Angkor Wat ist auch unser zweiter Stop in Kambodscha geprägt von kambodschanischer Geschichte. In diesem Fall allerdings nicht von den großen architektonischen Zeugnissen längst vergangener Größe, sondern von einem Kapitel der jüngeren Vergangenheit, das in der Menschheitsgeschichte an Grausamkeit und unmenschlichem Irrsinn wohl nur von einem erfolglosem Maler aus Braunau und seinen braunen Gesellen „übertroffen“ wird.
Zum besseren Verständnis ein kurze Geschichtsstunde: Am 15. April 1975 marschieren die so genannten Roten Khmer, kommunistische kambodschanische Revolutionäre, in der Hauptstadt Phnom Penh ein und beenden damit gut fünf Jahre Bürgerkrieg. Dies ist der Startschuss für ein Regime, das die Methoden seiner kommunistischen Genossen weltweit aussehen lässt wie einen Kindergeburtstag: Die Roten Khmer wollen in ihrem „Democratic Kampuchea“ den totalen Kommunismus umsetzen und verwandeln im Zuge dessen das gesamte Land in einen völlig abgeschotteten Agrarstaat. Seine Einwohner sind nur noch ein großes Arbeiterkollektiv, jegliches Privateigentum und Geld werden abgeschafft, ebenso wie motorisierte Fahrzeuge; „Intellektuelle“ (alle, die vor der Revolution keine Farmer oder Arbeiter waren, in der Stadt gelebt haben, westliche Kleidung oder eine Brille tragen und/oder eine Hochschule absolviert haben) werden zu Farmern und Arbeitern „umfunktioniert“ oder in aller Heimlichkeit gefoltert und dann exekutiert; Familien werden getrennt, gegengeschlechtlicher Kontakt dient ab sofort nur noch der Fortpflanzung, Kinder werden von der Partei „erzogen“ (Schulen gibt es keine mehr) und dienen ihr als Spitzel und Kindersoldaten; Sämtliche Städte werden „geleert“, alle werden zur Evakution in die Arbeitskommunen aufs Land gezwungen, Männer, Frauen, Kinder, Babys, schwangere Frauen, bettlägerige Krankenhauspatienten, alle.
Dass es im Zuge dieses Prozesses den einen oder anderen Dorn im roten Auge der Revolution geben würde, war zu erwarten. Wer sich nicht völlig unterwirft bzw. nicht dem Rassenbild des perfekten Arbeiters entspricht, wird auf die eine oder andere Art aussortiert: Die „Dissidenten“ werden geköpft, gehängt, aufgeschlitzt oder einfach erschlagen (Munition Sparen ist angesagt), meistens auch noch vorher gefoltert. Insgesamt sterben (nach verschiedenen Schätzungen) zwischen 20 und 25% der Bevölkerung, ca. eine Million Menschen.
Das Ende dieses Spuks kommt erst, als die Roten Khmer diese Grausamkeiten auch über die Grenze zu Vietnam ausweiten und dort ganze Dörfer niedermetzeln. Nach jahrelanger Provokation greift der ehemalige Verbündete Vietnam im Dezember 1978 Kambodscha an, marschiert nur 14 Tage später in Phnom Penh ein und setzt eine neue Regierung ein. Die Roten Khmer ziehen sich daraufhin wieder in den Dschungel zurück, aus dem sie gekommen waren, und terrorisieren noch bis 1992 die Lande, als die UNO eine Truppe Blauhelme schickt und im weiteren Verlauf langsam wieder Normalität einkehrt, soweit das nach so einer Vergangenheit noch möglich ist.
Treppenwitz der Geschichte: Ebendiese UNO hatte „Democratic Kampuchea“, sprich die Roten Khmer, noch bis 1992 als die reguläre Regierung von Kambodscha anerkannt, weil dies den Regierungen von Thailand, China und den USA besser ins Konzept passte. Vor dem UNO-Hauptquartier in New York flatterte noch bis 1992 diesselbe rote Fahne im Wind, in deren Schatten gut 15 Jahre vorher ein paar Wahnsinnige eine ganze Nation versklavt hatten (und als Guerillas zu diesem Zeitpunkt immer noch taten). Als wir das gelesen haben, haben wir uns wirklich gefragt: Wo gibtäs denn sowas? Was kommt als nächstes? Posthume Nominierung der Herren Hitler, Stalin und Mussolini für den Friedensnobelpreis, für ihre Bemühungen zur Bildung einer „reineren“ Welt?!
Von diesen Jahren Ende der 1970er berichtet heutzutage vor allem das Tuol Sleng Genozid-Museum und das in aller wörtlichen und grafischen Deutlichkeit. Die Roten Khmer hatten diese Volks- und Hauptschule in das mittlerweile berüchtigte S-21 umgewandelt, ein kambodschanisches Ausschwitz, kleiner als das deutsche Konzentrationslager, aber an Grausamkeit durchaus ebenbürtig. Tausende Schwarzweiß-Fotografien der ehemaligen Gefängnisadministration zeigen die Gesichter der gut 17.000 Opfer der Anstalt und allein schon die Bandbreite dieser Fotos deutet den Wahnsinn des Geschehens an: Babys, Kleinkinder, Männer, Frauen, abgemagerte Greise - in der Auswahl seiner Opfer was das „Democratic Kampuchea“ wirklich demokratisch: Vor ihrem Henker waren alle gleich – gleich hilflos. Die Aufenthaltsdauer der Gefangenen variierte von zwei bis sieben Monaten, das Ende aber war für alle gleich: Tod durch Exekution in den Killing Fields von Choeung Ek, etwas außerhalb von Phnom Penh, die wir ebenfalls besucht haben. Dort geben heute Infotafeln an den Gruben, die einmal Massengräber waren, Auskunft über Details der Exekutionsstätte. In ihrer teils brutalen Nüchternheit passen die Informationen gut zur systematischen Grausamkeit, die hier vorgeherrscht haben muss: „In diesem Massengrab wurden 166 geköpfte Leichen gefunden“, „Es musste Munition gespart werden, deshalb verwendete man Schaufeln, Äxte, Spitzhacken, Holzschläger und ähnliche Werkzeuge, um die Gefangenen zu erschlagen“, „An diesem Baum wurden Babys und Kleinkinder exekutiert, in dem man sie an den Füßen und Beinen packte und gegen den Baum schlug“. Dominiert wird das Gelände heute von einem schlichten, aber einschüchternden Denkmal: ein gut 20 Meter hoher Turm, gläserne Wände, darin einige tausend Schädel und Knochen der hier Exekutierten.
Wie man sich vorstellen kann, sind wir angesichts dieser Eindrücke mit eher mulmigem Magen und betretenem Gesicht über das Gelände getrottet. Aber wie schön, dass es doch noch einige hartgesottene Touristen gibt, die sich von soviel Wahnsinns nicht abschrecken lassen, sondern sich gemäß ihrer gottgegebenen Lebensaufgabe mit einem Lächeln vor einem Kasten voller Knochen ablichten lassen. Man möchte ihnen am liebsten in ihre lächelnde Fresse hauen...

1 Kommentar:

  1. As always really well written and a pleasure to read, though "pleasure" probably isn't the appropriate choice of word for this thread.

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